Das Hochzeitspaar, Braut und Bräutigam im Herbst ihres Lebens, beide in erster Ehe geschieden, beide mit erwachsenen Kindern, wollte zum Abschluss ihres Hochzeits-Gottesdienstes im Idyll am Waldrand weisse Tauben fliegen lassen. Ich hatte mir dazu am Schreibtisch für nach dem Segen eine „passende“ Überleitung überlegt. Soweit der Plan.
Die Tauben wurden in einem Holz-Käfig hergeschafft. Alle schauten erwartungsvoll zu, wie die neu erklärten Eheleute die flatternden Vögel mit einigem Stress für Mensch und Tier an den Füssen zu fassen und festzuhalten versuchten, um sie dann doch möglichst gemeinsam auffliegen zu lassen, was erst mal gut kam. Die Tauben drehten eine-, zwei-, drei Runden über der Lichtung. Man sagte mir, das sei wichtig für die Orientierung der Tiere, bevor sie richtungssicher heimflögen. Sie drehten weiter. Da sah die gespannte Gesellschaft von einem der Baumwipfel einen Raubvogel auffliegen, kurze Zeit nichts. Nur eine der Tauben war dann ferne zu sehen. Stille mit beklommenem Blick nach oben. Ich war nicht schlagfertig genug, etwas dazu zu sagen, was mir blitzschnell in den Sinn kam, wäre daneben gewesen. Die Gesellschaft ging dann schnell, wie geplant, weiter zum Apéro. Im Hochzeits-Chat wurde später versichert, beide Tauben seien gut angekommen.
Als Pfarrer mit gerne gepflegtem Zugang zu Symbolik könnte ich dazu lachen oder weinen, mich ärgern, über die Wahl des Zeichens, über den Vorfall, über meine Unfähigkeit, das Scheitern aufzufangen. Was nett gedacht war, geriet daneben. Es hatte aber auf seine Art doch Relevanz:
- Tauben, Turteltäubchen stehen für Jungverliebte – die Jugend ist relativ. In frühchristlicher Tier-Symbolik sind zwei Turteltäubchen ein Hinweis auf die innige Liebe Christi zu seiner Kirche – Das interessiert leider vor allen mich. Schade, es ist nicht für mich allein gedacht!
- Die Farbe weiss steht für Frieden und für die „unbefleckte Reinheit“. Das Brautkleid ist darum weiss, weil das ausdrücken soll, dass die Braut „noch rein sei“ – warum eigentlich ist der Bräutigam dann traditionell schwarz gekleidet und nicht auch weiss? – Ich habe damit so meine Schwierigkeiten. Sexualität ist keine „Befleckung“. Sie ist Teilhabe an der Schöpfung!
- Genauer hinsehen bringt Schwierigkeiten: Die gestressten Eheleute in zweiter Ehe, gekleidet in weiss und schwarz, die darum ringen, gestresste weisse Tauben aus dem Käfig recht in den Griff zu bekommen – lieber nicht symbolisch deuten!
- Sie werden sie „frei lassen“ – Was heisst denn frei? Wohin müssen die Tauben „heimfliegen“? In den „Home-Käfig“? Und wie sind wir richtungssicher?
- Weisse Tauben fliegen lassen deutet auf den Wunsch nach Frieden – Frieden ist jeder Gemeinschaft zu gönnen! Die Erfahrung von Unfrieden macht diesen Wunsch nicht weniger bedeutend.
- Der Raubvogel, ob Bussard, Rotmilan oder Adler, ist kriegerisches Symbol und steht symbolisch für Besiegen – Es darf nicht sein, dass ein Raubvogel Friedenstauben schlägt, schon gar nicht an einer Hochzeit!
- Orientierung suchen im Kreisen – interessant! Darüber habe ich im Zusammenhang mit einer Hochzeit nie nachgedacht! – Und dann kreisen die Tauben noch zu lange, weil sie Angst haben vor dem Raubvogel.
- Die Frage schliesslich, ob beide Tauben ankommen… – Glauben Menschen einander? Wie steht es um die Ehrlichkeit? Wo kommen Menschen letztlich an? Bei Menschen? Bei Gott?
Ich müsste die Hochzeitspredigt ganz anders halten. Sie ist aber schon vorbei. Überholt, kaum ist sie fertig! Das gibt mir sehr zu denken. Viel Show widerlegt sich selbst schon im Vollzug. Ich muss Acht geben, dass ich nicht zynisch reagiere. Zynismus ist ein Ausdruck des Gefährdet-Seins.
Achtgeben will ich den Menschen, die den Bund der Ehe wagen, auch wenn sie erfahren haben, dass er gefährdet sein kann. Kein Mensch, der eine Scheidung erlebt, wollte das bei seiner Hochzeit. Das Wissen um die Fragilität ist mit ein Grund, die Eheschliessung mit einem Gottesdienst zu feiern: Die Bitte um Gottes Segen, das Gebet für die Menschen, denen es guttut, dass für sie bei Gott ausdrücklich ein gutes Wort eingelegt wird. Ebenso müsste auch eine Ehescheidung mit einem Gottesdienst begangen werden können (auf Anfrage ist das gerne möglich!). Achtgeben will ich gegenüber allen Menschen, „in Freud und Leid“. Ich nehme das sehr ernst. So ist es keine Floskel.
Ich möchte auch auf die Tiere achtgeben. Für viele sind sie ein Accessoire. Sie sind nicht ein Mittel für unsere Wünsche und Selbst-Darstellung, sondern eigene Wesen, auch wenn es uns grad nicht passt. Der Rotmilan muss einfach jagen, um zu essen. Er will nicht Krieg, er will leben, so wie alle. Alle Dramatik und Symbolik hat ihre Erdung im Leben, so wie es ist.
Nicht alles gelingt. Immer aber darf ich um Gottes Segen bitten.
Dominique Guenin