Mich scheint, als würden sich die Fronten verhärten. Nicht selten höre ich den Gesprächskiller: «dasch haud mini Meinig». Klar hat jede ihre Meinung und klar darf jeder seine Meinung frei sagen. Aber Meinungen reichen nicht. Wir brauchen das Gespräch.
Ich vermute, das hat einerseits mit dem Rückgang des Journalismus und mit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke zu tun, (die den Benutzer*innen oft personalisierte, auf ihre Interessen zugeschnittene Inhalte servieren und die Beschäftigung mit anderen Meinungen weniger fördern). Andererseits hat es auch damit zu tun, dass es wieder viele Gläubige gibt. Allerdings Gläubige in moderner Form. Heute verstehen viele Menschen unter Glauben die Fähigkeit, etwas, was man weder sehen oder beweisen kann, dennoch für wahr zu halten. Ich habe schon in manchem Gespräch gehört, dass mein Gegenüber «das mit dem Klimawandel» nicht glaubt. Das sei eine politische Erfindung. Wieder andere sehen in vielem, was öffentlich und politisch läuft, sowieso Machenschaften von geheimen Organisationen. Sie können diese unbekannte Fädenzieher zwar nicht aufdecken, aber glauben fest daran.
Früher verstand man hingegen unter Glauben die Gewissheit, Teil eines grösseren Ganzen zu sein und nicht immer alles unter Kontrolle haben zu müssen. Es war eine Form des Vertrauens. Von dieser Art des Glaubens haben Jesus und seine Zeitgenossen gesprochen. Und vielleicht würde uns heute dieses Vertrauen guttun. Wir würden dann wieder spüren, dass wir eingebettet sind in die Welt, mit all ihren Widersprüchen. Wir würden wieder spüren, dass wir als Menschen zusammengehören, auch wenn wir unterschiedlich sind. Wir würden ahnen, dass wir Kinder eines Gottes sind, der uns liebt und immer wieder überrascht. Und wir fänden wieder den Mut, uns mit der Welt zu verbinden, Gespräche zu führen, uns selbst zu hinterfragen und als Suchende lebendig unterwegs zu sein.
Martin Stüdeli